ANKLAGE UND VERSPRECHEN
 
Ob auch die Stunden verrinnen,
ob auch die Jahre vergehn,
es soll Euch nicht gelingen,
uns schwach und verzagt zu sehn.
 
Und droht uns auch Tod und Verderben
– gar viele schon gingen zur Ruh-
Ihr decket ihr mutiges Sterben
mit neuen Verbrechen zu.
 
Wir rächen Euch, Ihr Brüder,
ihr Schwestern ohne Zahl!
Schon winkt aus der Ferne die Freiheit
und neuen Kampfes Signal.
 
Dann bauen wir Euch ein Denkmal,
doch nicht aus kaltem Stein;
wir bauen ein neues Deutschland
und das soll unser sein!

(Gedicht aus dem KZ Ravensbrück von Anna Stiegler, * 21.4.1881 in Prenzlin/Mecklenburg; Hausgehilfin und Kinderfräulein;
seit 1905 Mitglied der SPD;  1918 – 1933 Abgeordnete der Bremer Bürgerschaft; 1945 Befreiung aus dem KZ und Rückkehr nach Bremen;
Mitglied des Bremer Parlaments für die SPD bis zu ihrem Tode am 24. Juni 1963. Quelle: Hanna Elling, (Hg.), Mitten in tiefer Nacht.
Gedichte aus Konzentrationslagern und Zuchthäusern des deutschen Faschismus 1933-1945, Frankfurt am Main 1990, S. 110-112).